Text und Bild von Rosa Makstadt. Karlsruhe, 28.11.2019.
Ich war in Berlin auf Wohnungssuche. Dutzende von Bewerbern stehen vor einem mehrstöckigen Gebäude mit vielen Wohneinheiten. Wir befinden uns mitten in Friedrichshain auf einer lebhaften Straße mit Geschäften und Restaurants. Wir sind bereit die Wohnung zu besichtigen.
Das Erste, auf was uns der Makler hinweist, als sei es etwas völlig Nebensächliches: Unten im Gebäude, im Erdgeschoss, ist ein Bordell. Das ist alles, was er sagt: Hier unten ist ein Bordell.
In der Anzeige hatte er es verschwiegen.
Was passiert?
Wir Bewerber verstummen alle, kein Gemurmel mehr, kein Rascheln, keine Gespräche. Es hat uns die Sprache verschlagen. Es versteinert uns richtig. Noch nie habe ich so viele Menschen mit solch schlechtem Gewissen einen Treppenflur hochgehen sehen.
Aber:
Keiner spricht es aus. Es geht nicht. Funktioniert nicht. Es steht zwischen uns wie ein Autounfall, direkt vor unseren Augen. Wir sind Zeuge von grausamster Brutalität geworden. Wurden plötzlich ohne Vorwarnung damit konfrontiert.
Dabei haben wir noch nicht mal was gesehen, aber wir wissen es. Wir wissen, was hinter der Türe passiert. Jeder Einzelne weiß es und der Körper kann nicht lügen.
Alle gehen stumm und beklommen an der Bordelltüre vorbei. Der Flur ist sehr eng. Keiner will, dass selbst nur sein Jackenzipfel die Bordelltüre berührt. Wir quetschen uns daran vorbei als wäre es ein flammendes Feuer, dass wir ja nicht zu nahe kommen dürfen, sonst kostet es uns das Leben. Keiner berührt das Treppengelände mit seinen Händen. Wer weiß, ob ein Mann diese Stelle berührt hat, nachdem er seinen Penis in der Hand hatte. Wer weiß, was für Krankheitserreger, welches Sekret ..?
Wir sind gekommen, um eine Wohnung zu besichtigen. Ist das nicht was Schönes? Mühsam, aber etwas völlig Normales, etwas lebensbejahendes, denn wir wollen ein Zuhause finden.
Stattdessen:
Den meisten ist das schlechte Gewissen und die Scham, die grausame Wahrheit zu kennen, aber nichts dagegen zu tun, nichts tun zu können, ins Gesicht geschrieben. Wir sind zu Komplizen geworden, denn wir sind direkt vor einem Bordell und gehen daran vorbei als sei das das Normalste der Welt. Das ist nur deswegen möglich, weil es legal ist.
Wie kann das sein?
Weil wir zu Mittätern GEMACHT WERDEN. (1)
Egal, ob du es willst oder nicht,
denn –
Diese Wohnungsbesichtigung war 2015. Auch damals war ich schon längst gegen legalisierten Sexkauf, habe zum Thema recherchiert und aufgeklärt und war auf Demonstrationen mit dabei.
Aber das war in diesem Moment alles egal: Durch das Gesetz degradiert mich die deutsche Regierung in die Position eines Mittäters, weil die Tat schon an sich legal ist.
Unten werden Frauen vergewaltigt und man soll oben drüber wohnen als sei es okay.
Denn es ist ja legal.
Die Frauen werden misshandelt, geschlagen, gequält. sie werden gefügig gemacht mit illegalen Substanzen, sie werden süchtig von Alkohol und Drogen, ihre körperliche und psychische Gesundheit wird gefährdet oder sogar irreparabel ruiniert. Sie könnten dies mit ihrem Leben zahlen. Es könnten dort Minderjährige missbraucht werden. Es könnten Frauen dort sein, die von Menschenhändlern in dieses Bordell gebracht wurden.
Die Situation in diesem Wohngebäude kann auf die gesamte Bundesrepublik Deutschland ausgeweitet werden: Wir wissen genau was um uns herum in Deutschland passiert. Es sind unsere unmittelbaren Nachbarn, es passiert auf den Straßen und abseits der Städte. Hier werden Frauen auf alle mögliche Arten und Weisen ausgebeutet und wir sollen damit leben, als sei es okay.
Das Gesetz sagt Folgendes aus: Es gibt Frauen und Mädchen, die einmal, mehrmals oder immer wieder auf alle erdenkliche Arten schutzlos ausgebeutet werden, wiederum alle Frauen und Mädchen leben unter dem Risiko zu dieser Gruppe aus unterschiedlichen Gründen dazu stoßen zu müssen, zu sollen oder dazu manipuliert zu werden – oder wenn nichts davon eintrifft, immerhin den negativen Implikationen einer solchen legalisierten Ausbeutung ausgeliefert zu sein. Die Legalität liefert das gesellschaftliche Einverständnis in diese Aussagen und den Freipass an die Täter.
Solange Prostitution legal ist, werden wir dazu gebracht unsere Menschlichkeit zu verneinen, unsere Empathie zu unterdrücken. Wir sind nicht länger integer. Falls wir uns dennoch dazu entscheiden aktiv zu werden, wird unsere Hilfsbereitschaft im günstigsten Fall als reaktionär beschimpft werden, im schlimmsten, aber sehr realen Fall würden wir uns in Lebensgefahr begeben.
Denn das Gesetz schützt nur Freier, die Bordellbetreiber und alle, die durch die Ausbeutung der Frauen Geld verdienen. Es schützt nur die Täter. Es lügt uns an, es verleugnet die Wahrheit. Es ist Realitätsverleugnung, welche uns staatlich angeordnet wird.
Ich bin Teil von Karlsruhe gegen Sexkauf, weil ich (in wie oben beschriebenen Situationen) alleine nichts von Bedeutung bewirken kann. Ich glaube aber daran, dass gemeinsam, sichtbar und aufgeklärt Gerechtigkeit für alle Frauen möglich ist. Die Wahrheit darf nicht durch Gesetze verschleiert werden.
Denn eine Nation unter diesem Gesetz sagt aus: Wir seien nicht fähig zivilisiert zu handeln. Wir seien barbarisch, primitiv und brutal.
Eine aufgeklärte moderne Gesellschaft, die sich darüber hinaus auch über die grausamen Taten des 20. Jahrhunderts bewusst ist, lässt nicht zu, dass eine Lüge Gesetz wird. Sie würde nicht zulassen, dass eine Hälfte der Gesellschaft, die andere körperlich, emotional, mental, sexuell und finanziell ausbeutet. Es ist ein primitives, perverses Gesetz, das dem Menschsein im 21. Jahrhundert nicht entspricht.
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(1) Wer weiß, ob unter den Männern, die die Wohnung besichtigten, nicht sogar Freier dabei waren, die nicht bloß Komplizen, sondern Täter sind.