Therapie und Arbeit mit Sexkäufern

Therapie und Arbeit mit Sexkäufern

©Vortrag von Dr. Ingeborg Kraus, am 11. November 2021 in Selb im Rahmen der internationalen Konferenz zu Zwangsprostitution und Menschenhandel.

Karlsruhe, den 13.02.2022.

Therapie und Arbeit mit Sexkäufern / Freiern / Prostitueurs

Hier auch als PDF: Therapie und Arbeit mit Sexkäufern

Inhaltsübersicht:

  1. Der Freier: Eine soziale Konstruktion.
  2. Studien über Sexkäufer.
  3. Mythos des netten Freiers.
  4. Abspaltung und Gleichgültigkeit.
  5. Sexkäufer in Freierforen.
  6. Was macht es mit einer Gesellschaft?
  7. Therapeutische Erfahrungen mit Sexkäufern.
  8. Was hat in der Therapie geholfen?
  9. Bewusstseinswandel in der Gesellschaft.
  10. Eine Schule für Sexkäufer: Frankreich als Beispiel.
  11. Ausblick: Was muss dringend geschehen?

 

1. Der Freier: Eine soziale Konstruktion.

 Zahlen / Fakten:

Wenn wir uns den Sexkäufer unter die Lupe nehmen, muss zuerst festgestellt werden, dass er extrem untererforscht ist.[1]

Untersuchungen in verschiedenen Ländern zeigen, dass der Sexkäufer weniger ein Produkt der Natur zu sein scheint als das einer patriarchalen Kultur und Prostitutionspolitik[2]: 7 Prozent der Männer sollen in England Sexkäufer sein, 39 Prozent in Spanien, 37 Prozent in Japan und 73 Prozent in Thailand, etc. Das spricht dafür, dass der Sexkäufer vorrangig eine soziale Konstruktion ist, ein Resultat einer ungleichen Geschlechtererziehung, die Frauen als Werkzeug sieht, um Männer in ihrer Männlichkeit zu bestätigen.[3]

Der Kinsey-Report stellt 1948 für die USA fest, dass 69 Prozent aller Männer in ihrem Leben käuflichen Sex nachgefragt haben.

Wie sieht es in Deutschland aus? Man spricht schätzungsweise von 1,2 Millionen Kunden pro Tag (Zahl, die vor ca. 30 Jahren geschätzt wurde)[4], 18 Prozent der Männer sollen dauerhaft aktive Sexkäufer sein (auch eine Zahl, die vor 30 Jahren geschätzt wurde). Da es nicht immer dieselben Männer sind, kann man sich bei einer Bevölkerung von ca. 80 Millionen Menschen ausrechnen, wie viele Männer eigentlich Sexkäufer sind. Prostitution ist jedoch seit der Liberalisierung im Jahr 2002 drastisch gestiegen. Prostitution, laut Beobachtungen der Polizei, soll um 30% gestiegen sein[5], die Nachfrage dementsprechend auch.

In Deutschland muss man sich heute eher die Frage stellen, wie viele Männer keine Sexkäufer sind? Und auch wenn sie keine sind, leben Männer in einem Umfeld, in dem Sexkauf normalisiert ist und sie direkt oder indirekt in Kontakt mit dem Rotlicht treten: Freunde, die Sexkäufer sind, Kontakt zu Pornografie (gefilmte Prostitution), Partys bzw. Firmentreffen im Bordell, etc.

Ich stelle Sexkäufern, die bei mir in Therapie sind, oft folgende Frage: Stellen Sie sich vor, Sie treffen sich nach der Arbeit mit Freunden auf einen Drink und sagen am Ende, „Also Leute, ich werde den Rest des Abends noch in einem Bordell verbringen„, wie würden ihre Freunde reagieren? Antwort: „Viele würden sagen: Schönen Abend noch“, andere sagen „Gebe dein Geld nicht dort aus, hol dir eine Freundin wo du es umsonst bekommst“. Aber niemand würde sagen, so die Sexkäufer, die ich interviewt habe, „Hey Mann! Das ist Gewalt gegen Frauen“.

Der Gedanke, dass Prostitution eine Dienstleistung ist, ist extrem tief in der Gesellschaft verankert. Wenn man das in Schweden fragen würde, bekäme man natürlich ganz andere Antworten. Auch der Gedanke, dass Männer ein „Recht auf Sex“ hätten, ist in Deutschland weit verbreitet und ist tief im Bewusstsein verankert.

Wenn ich Frauen aus der Prostitution frage, was sie denken, wie viele Männer Sexkäufer in Deutschland waren oder noch sind, dann höre ich sehr oft eine Schätzung von 80%. Sie sagen, dass es jeder Mann sein kann: Polizisten, Richter, Ärzte, Priester, Bauarbeiter,… Jeder!

Wer aber sind diese Sexkäufer, ohne die es Prostitution nicht gäbe und die einen Markt aufrechterhalten, der sehr eng mit Gewalt und Frauenhandel verknüpft ist? Das Schweigen über die Prostitutionsnachfrage ist ein wichtiges Element, das die Prostitution legitimiert und die Ungleichheit zwischen Mann und Frau aufrecht hält.

 

2. Studien über Sexkäufer

A. Claudine Legardinier und Said Bouamamahaben 2006 eine Studie bei 95 Sexkäufern durchgeführt. Zum ersten Mal hört man diese Männer sprechen und ihre Aussagen erschüttern! Sie sind Ausdruck eines rückständigen Männlichkeitsbildes, das auf der Herrschaft des Mannes über die Frau aufgebaut ist.

Zuerst muss mit dem Mythos aufräumt werden, Sexkäufer seien isolierte Männer, die keine Beziehungen zu Frauen hätten. Die Mehrheit der Sexkäufer sind in Beziehungen (37 Prozent sind aktuell in einer festen Beziehung, insgesamt 70 Prozent waren in einer Beziehung oder sind aktuell in einer Beziehung), etwas mehr als die Hälfte sind Väter, 46 Prozent waren zwischen 30 und 50 Jahre alt, alle sozialen Klassen waren vertreten, jedoch mehrheitlich Führungskräfte. Sexkäufer sind also keine isolierten Menschen.

Sie stellen sich aber als Opfer dar, die Mitleid verdienen. Folgende Gründe führen sie auf um ihr Verhalten zu rechtfertigen: Mangelnde Liebe und Zärtlichkeit, Schüchternheit, niedriges Selbstwertgefühl.[6]Sie vertreten außerdem die Auffassung, dass männliche Sexualität etwas Spezifisches ist. Ihre sexuellen Bedürfnisse seien allmächtig, benötigten eine sofortige Befriedigung und seien nicht zu unterdrücken. Mit dieser Logik rechtfertigen sie ihr Handeln, da sie ja nur einem natürlichen männlichen Bedürfnis nachgehen. Diese biologische Erklärung hilft ihnen sich als „normal“ zu betrachten. Weiterhin klagen sie die Männer an, die keine Freier sind, da diese „anormal“ / verlogen seien. Die Sichtweisen auf sich selbst spiegeln eher soziale Geschlechterkonstruktionen, die auf Hierarchien aufgebaut sind, als die heutigen Realitäten, in denen wir leben: Nach ihrem Selbstverständnis sind Männer dazu veranlagt zu dominieren und Frauen sich zu fügen.

Viele weisen der modernen emanzipierten Frau die Schuld dafür zu, dass der Mann zu Prostituierten geht. Sie klagen, ihre eigenen Partnerinnen seien zu anspruchsvoll und sexuell nicht großzügig genug. Sie würden ihren Partnern nicht genügend Bestätigung geben. Hier klingen nostalgische Vorstellungen durch, in denen Frauen ihren Männern noch alle Wünsche erfüllen.

Claudine Legardinier kommt zu der Schlussfolgerung, dass sich die Sexkäufer in einer generalisierten und systematischen Lüge befinden, die aus einer ungleichen Geschlechtererziehung resultiert:

  • Die Lüge betrifft ihre eigene Situation. Sie verbirgt die eigentlichen Gründe dafür, warum sie auf Prostitution zurückgreifen. Diese Frage wird mit simplen Erklärungen verdrängt, wie: Es sei ein natürliches männliches Bedürfnis, die Triebhaftigkeit sei nicht zu kontrollieren, etc.
  • Lüge im Hinblick auf die Situation der prostituierten Frauen. Sie machen sich keine Gedanken darüber, weshalb eine Frau der Prostitution nachgeht. Simple Vorstellungen helfen hier die traurige Realität auszublenden: es würde den Frauen Spaß machen, sie verdienten doch ihr Geld damit, etc. Die Diskrepanz zwischen den Fantasien der Männer über die Prostitution und den Lebensrealitäten der Frauen in der Prostitution ist Lichtjahre voneinander entfernt.
  • Lüge bezüglich der prostitutionellen Situation selbst: Sie suchen für kurze Zeit eine echte Beziehung zu einer Frau (Sex, Zärtlichkeit, Kommunikation). Sie wissen aber, dass sie sich nur ein Schauspiel davon kaufen. Die meisten bleiben frustriert.
  • Lüge was die sexuelle Befriedigung betrifft: Sie kommen mit sexuellen Fantasien, die eigentlich eine Produktion der allgegenwärtigen Pornografie ist und von den weiblichen Bedürfnissen völlig abgetrennt ist. Sie verlangen immer mehr, aber verspüren keine richtige Befriedigung.
  • Lüge, was männliche Stärke und Identität ausmacht, die weiterhin mit patriarchalen Ideologien Hand in Hand geht: Männer suggerieren sich selbst und untereinander, es gehöre zum Mannsein Frauen sexuell zu dominieren, etc.

Die zentrale Lüge bestehe jedoch darin, so Legardinier, dass man Männern, aufgrund einer biologischen Erklärung, eine „Unfähigkeit zur Frustration“ zuschreibt. Hier drückt sich einmal mehr patriarchales Gedankengut aus: Frauen würden also mehr im Inneren leben, sie seien diskret und zurückhaltend, geduldig und könnten viel ertragen. Männer seien demgegenüber nach außen gerichtet und von ihren Trieben gesteuert. Frauen und Männer werden also weiterhin unterschiedlich im Umgang mit Frustration sozialisiert. Die Fantasie dominiert, Männer würden sich wie wilde Tiere im Dschungel verhalten, die ihre Sexualität nicht unter Kontrolle hätten ohne regelmäßige Triebabfuhr. Mit dieser Vorstellung wird auch den Männern Unrecht getan, denn wenn es wirklich so wäre, müsste man die Frau als höheres Wesen betrachten, die zivilisiert mit ihren Trieben umgehen kann.

B.2015 wurde eine Komparative Studie zwischen Sexkäufer und Männern, die keine Sexkäufer sind, von Melissa Farley veröffentlicht, die belegt, dass Sexkäufer ähnliche emotionale Strukturen aufweisen wie sexuell gewalttätige Männer, und zwar mangelnde Empathie, das Fehlen von schlechtem Gewissen, antisoziales Verhalten, eine Präferenz für unpersönlichen Sex, eine ablehnende Haltung Frauen gegenüber und das Bestreben, sie dominieren zu wollen.[7]

Ich persönlich denke nicht, dass alle Männer solche Strukturen im Vorfeld haben, sondern dass viele durch die Freier-Erfahrung erst solche Strukturen entwickeln.

C. Spiegel gesellschaftlicher Werte

Das bestätigt auch der schwedische Soziologe Mansson: Prostitution sollte nicht als ein abgetrenntes Universum gesehen werden, das von Monstern bevölkert ist. Nein, es sagt etwas über unsere Gesellschaft aus: es ist eine Lupe, die unsere Geschlechterrollen und vermittelten Modelle sichtbar macht. Diese sind nämlich noch von einem tiefen Sexismus durchdrungen. Seinen Studien nach sind Sexkäufer keine Ausnahmemänner, sondern ganz gewöhnliche Männer aus allen Klassen und Schichten, es kann der nette Nachbar von nebenan sein oder der eigene Ehemann. Es scheint, als könnten diese Männer gut mit diesen zwei entgegengesetzten Persönlichkeitsanteilen leben: privat der fürsorgliche Familienvater, im Bordell der empathielose, dominante, frauenverachtende Mann.

 D. Prostitution bringt auch Männer nicht weiter

Die Prostitution regelt dabei nicht die Probleme der Männer, so Mansson. Ganz im Gegenteil, es steigert ihre Angst normale Beziehungen zu Frauen einzugehen. Prostitution erspart den Männern nämlich notwendige Schritte in Richtung Frau zu machen.[8]

 

3. Mythos des netten Freiers

In ihrer Studie über die französischen Sexkäufer stellt Legardinier fest, dass es den Männern ein wichtiges Anliegen ist, sich von den „perversen Freiern“ abzugrenzen. Sie wollen sich als die „Guten“ verstehen. Mittlerweile sprechen aber mehr und mehr Aussteigerinnen über ihr Erleben in der Prostitution und räumen mit dem Mythos „des netten Freiers“ auf:

  • Der sexuelle Akt selbst, auch wenn die Frau dazu einwilligt, bleibt eine unerwünschte Penetration. Die Einwilligung bezieht sich nicht auf den Akt selbst, sondern auf das Geld. Allein das ist schon eine Grenzüberschreitung, die dann natürlich Tür und Tor zu weiteren Grenzüberschreitungen öffnet:
  • In ihrem Buch „Schneewittchen und der böse König“, fragte die Journalistin Barbara Schmid die Betroffene, ob es denn nicht geschäftsschädigend war, mit blauen Flecken ins Bordell zu gehen. Die Antwort war Nein: „Je schlimmer sie verprügelt war, desto mehr verdiente sie“. Das hat die Freier anscheinend sexuell erregt.
  • Das konnten mir übrigens auch all meine Klientinnen bestätigen. Kein Freier hat sich um die Wunden der Frauen gekümmert. Sie sagen, dass Frauen von ihren Zuhältern verschlagen wurden oder Tattoos hatten, ein Zeichen, dass die Frau Opfer von Menschenhandel war. Das hielt die Freier jedoch nie davon ab, sie zu kaufen, sondern manchmal bekamen die Frauen von ihnen sogar zu hören, dass sie ihnen ja einen Gefallen damit machen würden.
  • In einer Freier-Studie in Deutschland, an der ich auch teilgenommen habe, galt es auch darum herauszufinden, ob Freier Indizien sahen, die dafür sprachen, dass die Frauen Opfer von Menschenhandel waren. Die Antworten waren ganz klar: Fast jeder sah die Not der Frauen. Hier ein paar Antworten:
    • Als ein Mann reinkam, hatten die Frauen auf einmal Angst. Man konnte es ihnen in den Augen sehen.
    • Sie ging zu ihm und gab ihm das ganze Geld ab.
    • Eine Frau hatte einen riesen Schnitt über dem Bauch (sie war zuerst ein Opfer von Organhandel und das wusste der Freier).
  • Rachel Moran, eine Überlebende der Prostitution, sagt: Dass der gewalttätige Sexkäufer eigentlich ehrlicher mit ihr umgegangen sei als derjenige, der so getan hat als wolle er sanft und gut mit ihr sein. Letztendlich sei es jedes Mal eine bezahlte Vergewaltigung gewesen.[9]

 

4. Abspaltung und Gleichgültigkeit:

Street WorkerInnen, die mit prostituierten Frauen arbeiten, berichten oft, dass sie Frauen in der Prostitution begegnen, die den Kontakt zu sich selbst völlig verloren haben. Sie reagieren verängstigt oder apathisch. Es erscheint offensichtlich, dass sie alles andere brauchen als Sex. Aber daneben stehen die Sexkäufer und scheren sich „einen Dreck“ darum. Sie lachen und amüsieren sich.

Wie geht das? Ich stelle mir dieselbe Frage, die sich auch Caroline Emcke in ihrem Buch „Gegen den Hass“ gestellt hat. Ja, wie geht das, die Not der Menschen nicht zu sehen, sondern nur die eigenen Bedürfnisse?

Es geht, weil Männern durch legalen Sexkauf vermittelt wird, ein Recht auf Sex zu haben und dafür Frauen benutzen zu dürfen. Die Frau wird in ein sozial konstruiertes Bild eingesperrt, und zwar in das Bild „einer unersättlichen Sexbestie“. Andere Bedürfnisse werden ihr abgesprochen. Sie wird entmenschlicht, sie ist nur noch das: ein Körper ohne Seele. Das erlaubt dem Sexkäufer jegliche Form von Skrupellosigkeit, sein Mitgefühl ist blockiert, an dessen Stelle tritt Gleichgültigkeit.[10]

Das beweisen auch die Studien von Melissa Farley über Sexkäufer in London[11]:

  • 50% der 103 interviewten Sexkäufer wussten, dass die prostituierte Frau unter der Kontrolle eines Zuhälters stand.
  • Ein Mann sagte: „Es ist, als wäre er ihr Besitzer.“
  • 35% haben geglaubt, dass 50 bis 90% der Prostituierten in ihrer Kindheit missbraucht wurden.
  • 55% glaubten, dass der Einstieg in die Prostitution für die Mehrheit der Frauen über Täuschung und Menschenhandel verlief.
  • Was denken die Freier, wie sich die Prostituierte fühlt während sie mit einem Freier zusammen ist: Leer, angewidert, dreckig, körperlich und seelisch leidend, ängstlich, sie versuchen sich abzuschalten, ihre Gedanken auszublenden,…
  • Was ist Prostitution? Aussage von einem Freier: „Sie zahlen für die Bequemlichkeit, es ist ein bisschen wie auf einem öffentlichen Klo.“

Diese Verhaltensmuster bleiben nicht hinter den Mauern der Bordelle, sondern durchdringen und kontaminieren unsere gesamte Gesellschaft in ansteigendem Maß.

 

5. Sexkäufer in Freierforen

Die Bewertungen der Freier in den Freierforen lässt erkennen, dass Prostitution gegen die Menschenwürde verstößt. Sie sehen es offensichtlich als ihr Männerrecht, Frauen zu erniedrigen und sie in jeglicher Weise zu benutzen.

Es zirkulieren auch Menü-Listen mit Freierwünschen. Im Ausland löst dies Empörung aus und wird als Folter betrachtet. Durch das Prostitutionsschutzgesetz im Jahr 2017 wurden zwar manche „Dienstleistungen“ verboten, viele andere werden jedoch weiterhin den Frauen zugemutet, wie: Analverkehr, Fisting, Zungenküsse, Eierlecken, Deep Throat, Orgie, auf eine Frau pissen oder Spiele mit Kot,…

6. Was macht es mit einer Gesellschaft?

 A. Sexkauf ist normalisiert. Eine Generation von Sexkäufer wird in Deutschland herangezogen:

Im Gegensatz zu Ländern wie Schweden, wo Sexkauf uncool betrachtet wird, ist in Deutschland der Blick des Freiers nicht mehr verpönt. In Deutschland ist es cool und es gilt sogar oft als erstrebenswert im Bordell zu feiern.

B. Sexuelle Gewalt erhöht sich dadurch im Allgemeinen in der Gesellschaft

Es ist schwierig das zu Beweisen, Mittlerweile gibt es Hinweise dazu:

Beispiel Nevada:

In Amerika ist die Gesetzgebung zu Prostitution den jeweiligen Staaten überlassen und es gibt nur einen einzigen von 51 amerikanischen Bundesstaaten, der Prostitution und Sexkauf seit 40 Jahren vollkommen legalisiert: Nevada. Es ist kein Zufall, dass gerade Nevada die höchsten Werte hat, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht: Nevada weist am meisten Opfer von häuslicher Gewalt auf[12], an dritter Stelle steht Nevada was Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe betrifft[13], an vierter Stelle was Frauenmorde angeht[14].

Laut dem „Centers for Disease Control and Prevention[15] (CDC) und dem „National Intimate Partner and Sexual Violence Survey (NISVS) sind fast die Hälfte aller Frauen (48,1 Prozent) in Nevada vergewaltigt worden, haben körperliche Gewalt erlebt und/oder sind schon einmal gestalked worden.

Menschenhandel[16]zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist in Nevada 63 Prozent höher als der nächsthöchste Stand in einem der anderen Bundesstaaten in Amerika, wie z. B. New York oder Kalifornien. 

C. Schattenfrauen

Auch in Deutschland hat sich die Liberalisierung der Prostitution sehr negativ auf die Gesellschaft ausgewirkt. Denn: Prostitution hat nicht nur verheerende Auswirkungen auf die Frauen in der Prostitution, sondern auch auf die betrogenen Frauen, die sich Schattenfrauen nennen.[17] Es sind Frauen, die von ihren Männern mit prostituierten Frauen betrogen werden, sie stehen im Schatten des Systems Prostitution.

Diese tragischen „Kollateralschäden“ der Prostitution sind bis heute überhaupt nicht im Fokus. Täglich gehen ca. 1,2 Millionen Männer jeden Tag zu Prostituierten. Geht man davon aus, dass es natürlich nicht immer die gleichen Sexkäufer sind, und davon, dass es eine große Anzahl verheirateter oder in einer festen Beziehung lebender Freier ist, liegt alleine die Zahl der betroffenen betrogenen und bei Aufdeckung entsprechend seelisch verletzten Frauen sicherlich ohne Übertreibung im zweistelligen Millionenbereich. Wir müssen daraus schließen, dass Deutschland ein Land betrogener Frauen ist.[18]

… der Betrug, die Heimlichkeit, der Verrat und die Sichtweise von Frauen als reine Sexobjekte, die Entmenschlichung ist das eigentliche Problem. Vertrauen, gegenseitige Achtung und echte Intimität wird dadurch unmöglich und damit wirkt sich Prostitution zerstörerisch auf die Grundlage einer Paarbeziehung aus. Sie zerstört das Wertesystem und die Liebesfähigkeit eines Menschen.“(Zitat einer Schattenfrau)[19]

7. Therapeutische Erfahrungen mit Sexkäufern:

Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus meiner klinischen Arbeit geben.

Gemeldet haben sich unterschiedliche Männer bei mir:

  • Freier, die sich in eine prostituierte Frau verliebt haben.
  • Freier, die eine prostituierte Frau geheiratet haben oder in einer Beziehung mit ihr sind.
  • Freier, die keine Sexkäufer mehr sein wollen.

Die Therapie besteht natürlich darin, Prostitution und Pornografie zu stoppen und wieder eine gesunde Beziehung zu einer Frau zu führen. Das ist ein langer Prozess in einem Land in dem Sexkauf normalisiert ist und die Gesellschaft / Politik etwas anderes den Sexkäufern vermittelt.

Hier möchte ich Einblicke in die psychischen Prozesse der Sexkäufer geben:

A. Sexkäufer suchen häufig nach Pornografie oder Webseiten von Bordellen oder Begleitservices auf. Diese Frauen sind sehr hypersexualisiert dargestellt. Keine Frau außerhalb der Prostitution ist so gekleidet. Die Sehnsucht dieser Männer konzentriert sich ganz auf dieses Frauenbild. Sie sind nicht mehr an „normal“ aussehenden Frauen interessiert und sind somit vollständig von „echten Frauen“ und der „normalen“ Frauenwelt getrennt.

Bei einem Freier war es so, dass er alle Frauen, mit denen er beruflich zu tun hatte, mit dem Blick eines Freiers betrachtete. Für ihn war jede Frau käuflich. Er fantasierte sie nackt, jede Frau zog er in seinen Gedanken aus. Es war für ihn auch sehr anstrengend geworden seine Gedanken unter Kontrolle zu halten. Es ging so weit, dass er eine Frau sogar bis zu ihr nach Hause verfolgte, da er glaubte, dass sie nachts als Prostituierte arbeitete. Verstärkt wurde das Ganze durch Gespräche mit Freunden, die sich Pornos austauschten.

Therapeutische Aufgabe: Seiten blockieren, Frauenfilme anschauen (um wieder einen Zugang zur Frauenwelt zu bekommen) + Pornland von Gail Dines lesen.

 

B. Bei genauerer Betrachtung ihres Verhaltens in einer Beziehung, stellt man fest, dass diese Sexkäufer ein Verhalten zu Tage gelegt haben, bei dem sie dachten, ein Recht auf Sex zu haben. Sie setzten ihre Freundinnen unter Druck, Sex zu haben und missachteten oft ihre Gefühle + Grenzen. Viele forderten das ein, was sie in der Pornografie gesehen haben und sagten ihrer Freundin auch, dass dies die Normalität sei. Sie setzten ihre Partnerinnen unter Druck und redeten ihnen Schuldgefühle ein, wenn sie diese Art von Sex nicht bekamen. Natürlich sind diese Beziehungen nicht von Dauer und diese Männer suchen erst eine Therapie auf, wenn die Beziehung auseinander geht. Viele stehen dann unter Schock, wenn ich ihnen sage, dass sie ihre Freundin vergewaltigt haben.

Pornografie und eine Gesetzgebung, die Prostitution normalisiert, fördern auch sexuelle Gewalt in Beziehungen.

Therapeutische Aufgabe: Viele Männer reduzieren die Beziehung auf einen funktionierenden Sex. Was macht aber eine Mann-Frau Beziehung wirklich aus? Was ist Gleichberechtigung in der Beziehung und konsensualer Sex?

 

C. Sexismus im Alltag. Hier geht es darum, dass der Freier erkennt, wie er durch Werbung / Gespräche, erzwungene Fotos, etc. ständig eine Sexualität (die übrigens nicht seine ist!) auferzwungen bekommt und ein Freierblick bei ihm stimuliert wird.

Die therapeutische Aufgabebesteht darin, die Lügen in den Medien aufzudecken: Die Medien stellen sehr oft eine selbstbewusste Sexarbeiterin dar. Männer glauben an solche Berichte und denken, dass sie den Frauen etwas Gutes tun.

Es soll Distanz hergestellt werden, indem er den Blick darüber schärft: Beobachten und Protokoll darüber führen. Beispiele:

  • Nachrichten auf Bild.de:
    • Ein Erotik-Star taucht auf mit Aussagen wie „Sie macht es so in der Mittagspause und sie mag es so.“
    • Schnucki 91 sagt: „Sie haben das Ding einfach nicht rein bekommen“.

Solche Pornosätze tauchen ständig auf.

  • Autowerbung: „Das Bordell, wo noch was geht“.
  • Gespräche mit Freunden, sexistische Äußerungen / „Witze“,…

Es geht auch darum aktiv gegen solche Verharmlosungen vorzugehen: Zeitungen anschreiben, Freunde korrigieren, etc.

D. Falsche Prägungen durch toxische „Männergespräche“. Männergespräche können sehr toxisch sein. Sie beziehen sich oft auf eine leistungsorientierte und bindungslose Sexualität: „Wie lang man kann“, „wie oft man es macht“, „mit einer Freundin kann man ständig kostenlos Sex haben“, Das ist auch eine Form von Mobbing Männern gegenüber, bei der sie ständig auf ihre Potenz angesprochen und ausgefragt werden.

Man muss den Freiern hier deutlich sagen, dass dieses Verhalten unmoralisch und sexistisch ist. Sie begreifen es sonst nicht. Sie werden zu sehr durch falsche Darstellungen (Medien und Politik) beeinflusst.

Therapeutische Aufgabe: Aktiv gegen solche Äußerungen vorgehen und sich von toxischen Männern distanzieren.

 

E. Eine andere Frage in der Therapie lautet: Welche Indizien im Kontakt zu den Frauen haben dafür gesprochen, dass Sexkauf als eine Form der Gewalt von den Frauen erlebt wurde.

Hier ein paar Antworten:

  • Ich habe eine Frau für 12 Stunden für Silvester gebucht, und nachdem wir Sex hatten, hat sie nicht mehr mit mir geredet. Die restlichen 10 Stunden war sie nicht mehr ansprechbar.
  • Eine andere Frau wollte nur in völliger Dunkelheit Sex haben.
  • Die meisten Frauen gingen nach dem Sex ins Badezimmer und blieben dort sehr lange. Als sie herauskamen, musste ich sofort gehen.
  • Eine Frau sagte, dass es für Männer besser sei, zu prostituierten Frauen zu gehen, anstatt Frauen zu vergewaltigen. Als sie das sagte, hätte sie fast geweint, weil ihr in diesem Moment klar wurde, was sie in der Prostitution erlebt.
  • Eine Frau sagte, „Keine Frau will das.“ Sie war Griechin und fügte hinzu, dass ihre Familie ohne ihr Geld verhungern würde.“
  • Ein anderer Sexkäufer war Stammkunde einer Frau und erfuhr von ihr, dass sie in ihrer Kindheit von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde.

Ich: Nun, ich glaube, sie hätte etwas Anderes gebraucht als Sex mit einem Fremden, warum haben sie sie weiterhin gesehen? Er: Weil ich dafür bezahlt habe.

  • Ein anderer Sexkäufer, den ich in einer Freier-Studie in Deutschland Interviewte, sagte:

„Ich sah sie zittern, und sie sagte mir, dass sie es nicht machen wolle, dass sie es nur wegen des Geldes mache. Ich: und? Was haben sie dann getan? Sexkäufer: Ich hatte Sex mit ihr. Ich: Wieso denn? Sie wollte es nicht. Freier: Ja, aber ich habe dafür bezahlt.

Und genau das ist Prostitution: Sie bezahlen für ungewollten Sex. Der Geldwechsel schien die Vergewaltigung dieser Männer zu rechtfertigen. Aber für die Frau bleibt es eine Vergewaltigung, die ungestraft bleibt. Ein Gesetz, das den Kauf von Sex erlaubt, macht Täter unsichtbar und Opfer werden nicht mehr als Opfer wahrgenommen.So werden Männer zu Tätern. Das sind keine „Psychopathen“, die zu prostituierten Frauen gehen, natürlich gibt es sie auch, aber sie bleiben eine Minderheit. Dies sind überwiegend „normale“ Männer, die rücksichtsloses Verhalten zeigen. Sie spalten ihre Tat anschließend ab. Dieser Teil ihrer Persönlichkeit, der sexuelle Gewalt gegen Frauen ausgeübt hat, bleibt nicht vollständig abgespalten. Die Membrane zwischen dem Alltags-ICH dieser Männer und ihrem Täter-ICH bleibt fließend. Was sie als Klienten in der Prostitution erlebt und gelebt haben, überträgt sich teilweise auf den Umgang mit Frauen.

Der Blick auf Frauen wird durch einen Rotlichtfilter wahrgenommen und in einer intimen Beziehung bricht oft die Erfahrung der Prostitution durch: Grenzen werden nicht respektiert und oft werden sexuelle Handlungen gefordert, die für den Partner nicht in Frage kommen.

Ich hatte ein Interview mit einem ca. 30-Jährigen Mann, der mit 19 Jahren seine ersten sexuellen Erfahrungen in einem Bordell gemacht hat. Danach hatte er keinen Kontakt mehr mit dem Rotlichtmilieu. Seit 7 Jahren ist er in einer Beziehung. Er liebte seine Freundin, fand aber diese Beziehung sehr frustrierend. Wieso? Die sexuellen Erfahrungen, die er in der Prostitution mit 19 Jahren ein einziges Mal gemacht hat, saßen in seinem Kopf fest. Er war seiner Freundin nicht körperlich übergriffig geworden, innerlich war er permanent frustriert und dachte ständig an die sexuellen Praktiken, die er mit dieser einen prostituierten Frau erlebt hatte.

Prostitution ist Gift für eine Mann-Frau-Beziehung!

 

8. Was hat in der Therapie geholfen?

– Aufklärung über das System Prostitution.

  • Es ist Gewalt!
  • Information über die Auswirkungen von Prostitution: Menschenhandel, Konsequenzen für die Betroffenen, etc.

– Einen Einblick in die Frauenwelt bekommen.

– Die zugefügten Grenzüberschreitungen erkennen und Grenzen respektieren.

– Eine neue Idee von Mann-Frau Beziehung bekommen. Es basiert nicht auf Sex. Nähe kann nicht auf Sex reduziert werden. Nähe und Liebe kann man nicht kaufen.

– Kontakte/Freundschaften zu toxischen Männern und toxischen Männer-Gruppen auflösen.

 

9. Bewusstseinswandel in der Gesellschaft:

Als 1999 in Schwedendas Sexkaufverbot eingeführt wurde, war ca. 30% der Bevölkerung dagegen. Es kam in Folge des Gesetzes zu einem klaren Bewusstseinswandel in der Gesellschaft, so dass heute ca. 70% den Sexkauf ablehnen.[20]

Das gleiche konnte auch in Frankreich beobachtet werden:Eine Umfrage von Januar 2019 bestätigt, dass sich die Mentalitäten durch die Einführung eines Sexkaufverbotes im Jahr 2016 verändert haben:

– 78% der befragten denken, dass das Gesetz eine gute Sache ist.

– 84% der 18-24 Jährigen wollen, dass das Gesetz bestehen bleibt.

– 81% der Befragten betrachten Prostitution als eine Gewalt, die den Frauen zugefügt wird.

 

10. Eine Schule für Sexkäufer: Frankreich als Beispiel

 Das französische Parlament hat anerkannt, dass Prostitution eine Form sexueller Gewalt ist und ein Hindernis zur Gleichstellung der Geschlechter. Das wird als erstes den Sexkäufern vermittelt, denn die Wiederholung von unerwünschten sexuellen Kontakten hat eine Bezeichnung: Es ist eine Vergewaltigung. Deswegen benutzt man in Frankreich nicht das Wort Sexkäufer, da man sich keinen Sex kaufen kann. Man bezeichnet sie als „Prostitueur“. Es sind Männer, die Frauen zu prostituierten Frauen machen. Ohne sie gäbe es keine Prostitution.

Faire face à la demande. Vortrag von Frédéric Boisard, Fondation Scelles, Koordiniert die Programme, die die Freier ins Visier nehmen. Sie haben schon ca. 600 Freier unterrichtet.

Die Sexkäufer haben die Wahl zwischen einer Strafe oder an einem Praktikum teilzunehmen, die sie selbst zahlen (ca. 150,-€).

Die Strafen sind progressiv.Es gibt erschwerende Umstände, die die Strafen erhöhen. Wenn Sexkäufer z.B. schwangere Frauen, Minderjährige oder Opfer von Menschenhandel kaufen.

Wer Unterrichtet? Eine Psychologin, eine Polizistin, eine Überlebende der Prostitution.

Die Auswertung von ca. 600 Sexkäufer hat nach der Schulung folgendes ergeben:

  • 90% sagen, dass sie ihr Bild über Prostitution verändert haben,
  • 95% sagen, etwas Neues dazu gelernt zu haben,
  • 89% sagen, nicht mehr auf die Prostitution zurückzugreifen.

Wer sind die Freier?

  • Es gibt kein Profil.
  • 100% sind Männer zwischen 18 und 87 Jahre.
  • 60% sind verheiratet / oder in einer Beziehung und davon sind 70% Familienväter.
  • 1/3 gehen regelmäßig zur Prostitution, 1/3 gehen manchmal, 1/3 sagt, das erste Mal dort gewesen zu sein (Lüge?).
  • 42% sagen das Gesetzt zu kennen. 34% kannten das Gesetz nicht und 24% wussten nur wenig über das Gesetz.

 

Wie verläuft so ein Praktikum?

  1. Runder Tisch:Es wird nach den Motiven gefragt: Was hat sie bewegt dort hinzugehen? Hier werden schon erste Stereotypen und Clichés abgebaut:
  • Die Freier sagen, dass sie sexuelle Bedürfnisse haben.

Es wird korrigierend interveniert: Es sind keine elementaren Bedürfnisse und man muss lernen damit umzugehen!

  • „Warum bin ich bestraft worden und nicht sie?“,fragen oft Freier, „ich war doch nett zu ihr.“

Korrigierende Intervention: Sie haben die Wahl, die Frau meistens nicht. Sie werden keinen Schaden davon tragen, die Frau schon, da sie es nur für das Geld macht. Es bleibt für die Frau eine unerwünschte Berührung.

Beispiele werden geben: Mylène, eine Aussteigerin aus Frankreich sendet eine Botschaft an alle Freier: „Wenn ihr wüsstet was wir von euch denken! Wie sehr wir euch hassen, wir verachten euch dafür uns zu kaufen während wir euch mit „Chéri“ ansprechen und Komplimente machen müssen“.[21]

  1. Das System der Prostitution wird erklärt:
  • Die Wiederholung von unerwünschten sexuellen Kontakten hat eine Bezeichnung: Es ist Vergewaltigung. Das französische Parlament hat anerkannt, dass Prostitution eine sexuelle Gewalt ist und ein Hindernis zur Gleichstellung der Geschlechter.
  • Push-Faktor für Menschenhandel.
  • Das System ist in den Händen krimineller Strukturen.
  • Man vergleicht mit anderen Gesetzgebungen, so wie in Deutschland, die komplett gescheitert sind.
  1. Es werden Audio-Visuelle Aussagen von Überlebende der Prostitution angehört: Über die Gewalt die sie vor der Prostitution erlebt haben, währenddessen und danach.
  2. Abschließend findet einpersönliches Gespräch mit Rosen Hicher statt, einer Überlebenden der Prostitution.

11. Ausblick: Was muss dringend geschehen?

Einblick in die Sozialpsychologie:

Gewisse Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie gehören mittlerweile zu unserem Allgemeinwissen: Wie zum Beispiel das Konformitätsexperiment von Solomon Asch von 1951. In diesem Experiment wurde gezeigt, dass nur ¼ der Menschen sich dem Druck einer Gruppe wiedersetzt. ¾ passen sich der Masse an und geben entgegen ihrer eigenen Überzeugung eine falsche Antwort. In dem fortführenden Experiment von Milgram wurde gezeigt, dass Menschen entgegen ihres eigenen Gewissens den Vorgaben von Autoritäten folgen: 62,5% der Versuchspersonen folgten den Anweisungen ihres Vorgesetztes und gingen soweit, dass sie mit ihrem Handeln einen Menschen hätten töten können (Bestrafung durch die Vergabe der maximalen Spannung bis 450 Volt). Menschen lassen sich unter dem Einfluss von Autoritäten / Gruppen zu Entscheidungen verleiten, die einem gesunden Menschenverstand widersprechen.

Diese Erkenntnisse können wir auch in der deutschen Geschichte beobachten: Neueste Untersuchungen[22] über die Nazi-Verbrechen haben erwiesen, dass nur 12% der Opfer durch die Gestapo selbst ermittelt wurde. Ohne Zuträger von außen hätten die Nazis ihre Vernichtungsmaschinerie nicht so umsetzen können. Die Bevölkerung war sogar oft radikaler als die Nazis selbst.[23]

Was sollten wir daraus lernen?

 In Deutschland hat die Normalisierung der Prostitutionzu einer Explosion der Nachfrage geführt. Die deutschen PolitikerInnen haben dem Sexkauf Tür und Tor geöffnet und wundern sich jetzt, dass wir ein Magnet und eine Brutstätte für Sexkäufer geworden sind. Die Politik hofft auf den Anstand und das gute Gewissen der Männer, sendet jedoch zugleich die Botschaft, dass es in Ordnung ist eine Frau für die Auslebung der eigenen Sexualtriebe zu kaufen. Die Sozialpsychologie als auch unsere eigene Geschichte haben uns vor Augen gezeigt, dass Menschen schnell dazu verleitet werden können, gegen Menschenrechte zu verstoßen, wenn sie es dürfen. Ein Gesetz, dass Sexkauf normalisiert, wirkt für viele Männer als Eintrittskarte zum Freiertum. Wie kann unsere politische Klasse so naiv sein und das nicht miteinberechnet haben?

Auch 2021 hat keine einzige etablierte Partei eine Freierbestrafung nach Nordischem Modell in ihrem Wahlprogramm. Keine einzige große Partei hatte den Mut dem ein Ende zu setzen, wofür wir auf der ganzen Welt mittlerweile bekannt sind: dem Bordell Europas.

Deswegen bleibt eine Therapie mit Freiern, in einem Kontext wo Sexkauf legal ist, ein Tropfen auf einem heißen Stein. Es wird nichts in der Gesellschaft verändern. Der Freier wird vielleicht seine Einstellung ändern nach einer Therapie, er kehrt jedoch in eine Gesellschaft zurück, die zu Sexkauf nicht distanziert ist. Einige haben mir sogar gesagt, dass wenn sie dem aktiv entgegentreten würden, sie vielen auf die Nerven gehen und viele „Freunde“ verlieren würden. Manche sagten mir sogar, Angst vor Einsamkeit zu haben, wenn sie sich aktiv gegen Sexkauf engagieren würden. Sie machen zwar nicht mehr aktiv mit, bleiben jedoch passiv.

In dem Bericht der OSCE von 2021 über Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ermutigt die OSCE ihre Mitgliedstaaten dringend ihre strafrechtlichen Antworten auf die Eindämmung der Nachfrage zu überprüfen. Verschiedene Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden:

  • Sexkäufer sind direkt und indirekt für das immens große Leid an Menschenhandelsopfer verantwortlich. Sexkäufer können nicht und/oder wollen nicht Opfer von Menschenhandel identifizieren.
  • Den Staaten muss die Schwere und Ernsthaftigkeit des Problems bewusst sein: Die Gewalt geht fast ausschließlich von Männern aus und die Opfer sind überwiegend Frauen und Mädchen, die wiederum fast immer eine spezielle Vulnerabilität aufweisen (wie z.B. einer sozialen Minderheit zugehörig).
  • Staaten müssen sich bewusst sein, was für Botschaften sie einer Gesellschaft vermitteln wollen, insbesondere in Hinblick auf den Schutz vulnerabler Menschen, da Strafgesetze auch soziale Normen festlegen.

Die Liberalisierung der Prostitution hat eine ganze Generation von Männern kaputt gemacht. Ich denke, dass jede Frau heute gefährdet ist, überhaupt eine Beziehung zu einem Mann einzugehen, da der Blick und die Ansprüche des Sexkäufers sich in der Gesellschaft etabliert haben. Nachfolgende Aussage von einem Mann ist mittlerweile nach einem ersten Date nichts Außergewöhnliches: „Ich will aber jetzt nicht 10 Treffen haben, um über platonische Liebe zu sprechen“.[24]

Wenn wir über Prostitution sprechen, dann ist es notwendig, gleichzeitig darüber nachzudenken in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen und nicht nur über Schadensbegrenzung. Wir brauchen eine Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen ausspricht und sich dagegen positioniert. Eine neue Männergeneration soll möglich werden, die nicht auf sexuelle Ausbeutung der Frau und Gewalt gegen die Frau zurückgreift um sich zu definieren. Prostitution ist eine patriarchale Institution, die männliche Sexualität privilegiert und als Dominanzverhältnis zur Frau zu deuten ist.[25]

Die Legalisierung und Normalisierung der Prostitution kommt einer Kapitulation gegenüber der Gewalt gegen Frauen gleich. Frauen wird signalisiert, dass sie Männern sexuell zur Verfügung stehen müssen. Männern wird signalisiert, dass sie Sex brauchen um stabil zu bleiben und nicht sexuell übergriffig zu werden. Das ist die versteckte Botschaft, die das System Prostitution vermittelt: Es sind Vergewaltigungsbotschaften.

Es ist falsch zu glauben, dass männliche Sexualität nicht kontrollierbar ist. Männer haben einen neuen Weg zu erlernen, wie sie mit ihrer Sexualität umzugehen haben.[26]Deshalb ist die Einführung eines Sexkaufverbots fundamental wichtig, denn Emotionsregulation und Frustrationstoleranz sind wichtige zivilisatorische Errungenschaften.

 

Dr. Ingeborg Kraus

Psychologische Psychotherapeutin (VT), Fachtherapeutin in Psychotraumatologie (DeGPT), Supervisorin (Universität Heidelberg – ZPP).

 

Praxis Dr. Ingeborg Kraus

Amalienstr. 47  –  76133 Karlsruhe

Tel. 0721 – 47 00 95 58

 

 

 

 

 

Literaturverzeichnis:

[1]Udo Gerheim: Die Produktion des Freiers, 2012, S. 7.

 

[2]Claudine Legardinier, Prostitution: Une guerre contre les femmes, 2015, Éditions Syllepse, S. 95.

 

[3]Udo Gerheim: Die Produktion des Freiers, 20012, Transcript, S. 305

 

[4]Udo Gerheim: Die Produktion des Freiers, 2012, S. 7.

[5]Interview mit Helmut Sporer,10.07.2014, Augsburger Allgemeine. https://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/Immer-mehr-Prostituierte-aus-Osteuropa-kommen-nach-Augsburg- id30512282.html

[6]Claudine Legardinier und Said Bouamama: Les clients de la prostitution, 2006, Kapitel 4: Les clients parlent, S. 111-211.

 

[7]http://www.trauma-and-prostitution.eu/2015/09/01/sexkaeufer-haben-viel-gemeinsam-mit-sexuell-gewalttaetigen-maennern/

 

[8]Claudine Legardinier und Said Bouamama: Les clients de la prostitution, 2006, S.235.

 

[9]Rachel Moran: Was vom Menschen übrig bleibt. Die Wahrheit über Prostitution, Tectum, 2013.

 

[10]Dr. Ingeborg Kraus: Darf die Vagina Arbeitswerkzeug sein? https://www.trauma-and-prostitution.eu/2017/12/06/darf-die-vagina-arbeitswerkzeug-sein/#more-1008

 

[11]Melissa Farley, Men who buy Sex, London, 2009.

[12]https://www.rosenblumlawlv.com/blog/2018/3/31/nevada-domestic-violence-by-the-numbers/

[13]https://www.statista.com/statistics/232563/forcible-rape-rate-in-the-us-by-state/

[14]https://www.nevadacurrent.com/blog/nevada-has-nations-4th-highest-rate-for-intimate-murder-of-women/

[15]https://www.nevadabusiness.com/2018/11/nevada-coalition-to-end-domestic-and-sexual-violence-publishes-2017-intimate-partner-violence-homicide-report/

[16]https://de.scribd.com/document/379531366/Nevada-sex-trafficking-study

[17]Dr. Ingeborg Kraus, Schattenfrauen: https://www.trauma-and-prostitution.eu/2018/04/09/schattenfrauen/

[18]Dr. Ingeborg Kraus. Interview mit einem Ex-Freier: https://www.trauma-and-prostitution.eu/2017/09/29/ex-freier-fordert-sexkaufverbot-jetzt/

 

[19]Interview mit einer Schattenfrau: https://www.trauma-and-prostitution.eu/2018/04/09/schattenfrauen/

[20]Kuosmanen: Tioårmed lagen (SWE), 2008, S. 362.

[21]Mouvement du Nid: Les clients en question, Étude sociologique & Enquête d´opinion publique, 2004, S. 31.

 

[22]Prof. Robert Gellately: Backing Hiltler. Oxford University Press, 2001.

[23]Holocaust – Die Lüge von den ahnungslosen Deutschen. Bericht von Volker Steinhoff. Das Erste, 2001.

[24]Aussage eines Mannes (kein Sexkäufer) nach dem ersten Date.

[25]Udo Gerheim: Die Produktion des Freiers, 2012, Transcript, S. 297.

 

[26]Claudine Legardinier, Prostitution: Une guerre contre les femmes, 2015, Éditions Syllepse, S. 95.