Ein Text von Sandra Norak und Dr. Ingeborg Kraus, 01.12.2019
Bild: Rosa Makstadt
Es fällt uns auf, dass bei manchen Veranstaltungen zum Thema Prostitution und Nordisches Modell Profiteure des Systems auftauchen, dass u.a. ganz ungeniert Zuhälter und Bordellbetreiber auftreten und Zwischenrufe tätigen. Uns fällt auf, dass diese vermehrt mit Frauen auftauchen, die in ihren Etablissements als Prostituierte tätig waren und jetzt ebenfalls von der Prostitution anderer profitieren oder aber dass sie Frauen mitnehmen, die gerade noch in der Prostitution bei ihnen tätig sind. Der Verdacht liegt nahe, dass diese sich noch in der Prostitution befindenden Frauen als Schutzschild für die Zwecke der Profiteure missbraucht werden. Dieses Szenario ist uns sehr stark in einer Veranstaltung diese Woche in Karlsruhe aufgefallen und gab uns den Anlass zu diesem Text.
Es ist eindeutig, dass deren Ziel war, die Veranstaltung zu sprengen und das Nordische Modell ohne jegliche Argumentationskultur oder Diskussion dazu zu diskreditieren. Es schien, als hätten sich diese Menschen gezielt organisiert zu kommen, um die Veranstaltung zu sabotieren.
Ok, dass die Profiteure, wie Bordellbetreiber und Zuhälter, kommen und ihr Wirtschaftsmodell und das viele Geld, das sie damit verdienen, nicht verlieren wollen ist klar und erscheint nicht verwunderlich. Uns fällt allerdings auf, dass vermehrt auch Frauen mitgenommen werden, die noch in der Prostitution sind, um das System zu verteidigen.
Medien stürzen sich dann unreflektiert auf die Aussagen dieser Frauen, drucken es am nächsten Tag und verbreiten dadurch ein verzerrtes und unvollständiges Bild des Rotlichtmilieus. Das ist bedauerlich.
Ich (Sandra) habe mir die Frage gestellt, wie hätte ich damals reagiert, als ich noch in der Prostitution war, von einem Menschenhändler und Zuhälter ausgebeutet wurde, und von Leuten aus einem Bordell zu so einer Veranstaltung mitgenommen worden wäre. Wie hätte ich mich nach außen hin verhalten?
Ich hätte meine Ausbeuter und das System bis aufs Blut verteidigt. Ich hätte meinen Schmerz weggedrückt, ausgeblendet.
Warum? Das ist die große Frage.
Einmal aufgrund fehlenden Opferbewusstseins, das bei vielen vorherrscht. Auf der anderen Seite ist die Bindung zu einem Täter und zu einem System, das auf Ausbeutung aufgebaut ist, höchst unsicher, gefährlich, auf Druck und „Funktionieren“ aufgebaut und verlangt eine vollständige Loyalität nach außen hin. Die Maske muss aufrechterhalten werden. Die Gewalt darf nicht ausgesprochen werden. Ein Abweichen dieser Loyalität führt zu einem Bruch der Bindung, zu einem Ausschluss aus einem System, was für viele der Betroffenen in ihrem Leben den einzigen Halt zu geben scheint, weil sie trotz ihrer Ausbeutung eine Art Familien – /Zugehörigkeitsgefühl entwickelt haben. Nach der Vorstellung: es ist besser einen Menschen zu haben, der an meiner Ausbeutung, an meinem Leid beteiligt ist, anstatt niemanden zu haben. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Wir brauchen Bindungen und viele Menschen, vor allem in vulnerablen Lebenslagen, haben große Angst davor allein zu sein.
Ein Abweichen der Loyalität nach außen hin wird auch als Verrat angesehen, also als das Schlimmste, was man im Rotlichtmilieu tun kann. Das sagt auch Manfred Paulus, 1. Kriminalhauptkommissar a.D., der jahrzehntelang im Bereich des Rotlichts und der organisierten Kriminalität gearbeitet hat und die Strukturen und eigenen Regeln des Milieus kennt. Das, was die Strukturen, die organisierte Kriminalität und das ganze Prostitutionssystem am Leben erhält, ist bedingungslose Loyalität nach außen hin. Die Konsequenzen eines Verrats dieser Loyalität, wozu auch abweichende Meinungen zählen können, sind in der Regel schwerwiegend, was bedeutet, dass Menschen, die aus dem System ausbrechen und reden, mit gravierenden Folgen rechnen müssen. Das sind die Gründe, warum das Rotlichtmilieu ein Milliardengeschäft ist und so gut funktionieren kann – weil nur wenige der Ausgebeuteten darüber sprechen. Und hinzu wird es Betroffenen auch schwer gemacht darüber zu sprechen, da aufgrund unserer Gesetzgebung das ganze Milieu normalisiert und bagatellisiert wird. Unser Gesetz zu Prostitution:
„…lügt uns an, es verleugnet die Wahrheit. Es ist Realitätsverleugnung, welche uns staatlich angeordnet wird.“ (Rosa Makstadt)
Auch das hilft, dieses gewaltbesetzte Milieu am Leben und die Opfer gefangen zu halten.
Die Ur-Oma von einer Überlebenden der Prostitution aus Amerika, Vednita Carter, war eine Sklavin. Auch zu ihrer Zeit wollten viele in der Sklaverei bleiben, weil es ihnen eine gewisse Sicherheit gab, Unterkunft und Essen. Die Freiheit hat vielen auch Angst gemacht wegen der mit ihr verbundenen Ungewissheit. Wir brauchen keine Verbesserung der Situation der Sklaven, sondern wir brauchen eine Abschaffung der Sklaverei, sagte die Ur-Oma. In Bezug auf die Prostitution, in der Carter war, sagt sie heute, dass wir eine Revolution benötigen. Eine Abschaffung des Systems, keine Verbesserung der Ausbeutung.
Es geht uns nicht darum, die Frauen in diesen Situationen anzugreifen, das sollte keiner tun, sondern es geht uns darum, die Mechanismen von in der Ausbeutung steckenden Menschen verständlich zu machen und damit die Medien, aber auch alle anderen Menschen, in die Verantwortung zu nehmen, dass sie genauer hinschauen, genauer hinhören, um ein richtiges Bild der Realität der Prostitution zu zeichnen. Sonst unterstützen und fördern sie ein System der Gewalt.
Wir wollen Menschen mit auf den Weg geben, dass die Mechanismen der Gewaltverleugnung/Gewalthinnahme der Betroffenen des Ausbeutungssystems der Prostitution vergleichbar sind mit denen, wie sie sich bei Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, äußern: auch sie lächeln einen oft noch mit einem überschminkten blauen Auge an und werden sagen, dass alles in Ordnung ist und dass ihr Mann sie liebt.
Ist deswegen alles in Ordnung?