Offener Brief an die Grünen

Offener Brief an die Grünen

Hier der Brief als PDF:

Karlsruhe, den 08.06.2020

Liebe Grüne der Gemeinderatsfraktion Karlsruhe, 

vielen Dank für die Zusendung Ihrer „Positionierung“ zum Nordischen Modell vom 26.05.2020. Die Überschrift Ihres Briefes lautet: „Die Grüne Fraktion im Gemeinderat von Karlsruhe positioniert sich wie folgt zum Nordischen Modell.“ Leider konnten wir aber aus diesem Brief keine Positionierung für oder gegen das Nordische Modell herauslesen, sondern eine in Worthülsen gepackte Nicht-Positionierung. Politisch betrachtet steht hinter diesem Brief also keine Aussage.

Die 6 Punkte, die Sie in Ihrem Schreiben zuerst auflisten sind gut: der Staat wird seiner Schutzfunktion nicht gerecht, das aktuelle Strafrecht hilft bei der Bekämpfung von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung nur unzureichend, es wenig gegen Armutsprostitution unternommen wird, dass es kein Recht auf Sex gibt, dass sich die ungleichen Machtverhältnisse der Geschlechter in der Prostitution widerspiegeln und auch zementiert werden und dass die Bedingungen für Frauen verbessert werden müssen.

Soweit so gut. 

In dem darauffolgenden Absatz gewinnt man jedoch den Eindruck, dass Sie die vielschichtigen Probleme der Prostitution eher wieder relativieren, wenn Sie speziell die „freie Berufswahl“ hervorheben und damit wohl auch die Prostitution als Beruf ansprechen. Prostitution ist kein Beruf, sondern sexuelle Gewalt.

Mit dieser Bezeichnung von Prostitution als Beruf schützen Sie die „Rechte“ eines verschwindend geringen Teils von Frauen, die sagen, dass sie sich gerne prostituieren. Einen unweit größeren Teil von Frauen, die auf Basis der Gesetzeslage in das System hineinrutschen – und nur sehr schwer wieder herauskommen – und eine noch viel größere Gruppe, die sich an der sexuellen Ausbeutung von Frauen bereichern oder sich mit der größten Selbstverständlichkeit sexuell befriedigen, nehmen Sie damit in Kauf. Sich hier hinter diesen wenigen Frauen zu verstecken, die sich ihrer Aussage nach gerne prostituieren, und daraus eine Legitimation für das ganze Gewerbe abzuleiten finden wir zynisch. Zumal diese Frauen sich auch mit dem Nordischen Modell weiter prostituieren dürfen. Warum können Sie es scheinbar nicht eingestehen, dass das Gesetz von 2002 komplett falsch war, dadurch katastrophale Zustände für die Frauen entstanden sind und das Gesetz nur den Ausbeutern und Tätern zugute kam? Hier nützt es nichts, sich hinter einer Dialektik zu verstecken, die jeder wirtschaftsliberalen Partei gut anstehen würde. Frauen für Geld sexuell zu missbrauchen, die meist vor allem arme Frauen sind, die hier überhaupt keine Chancen haben, ist absolut menschenverachtend. Parteien, die dafür das ökonomische Umfeld schaffen, sind es in diesem Punkt leider auch.

Und für diejenigen, die Prostitution immer noch als „Beruf“ betrachten und sie mit Friseursalons oder Nagelstudios vergleichen, um die Eröffnung von Bordellen zu legitimieren (siehe Verordnung von Rheinland-Pfalz vom 08.06.2020), sollten viele einmal einen Blick in Freierforen werfen.

Hier nur ein Bericht eines Freiers über einen Besuch in einem Bordell (Freudenhaus Hase), das mittlerweile auch das sog. Gütesiegel vom BSD bekommen hat, das u.a. besagen soll, dass die Frauen „selbständig und selbstbewusst“ in einem solchen Bordell mit Gütesiegel arbeiten:

„Zur Action: Nach kurzer Waschung fängt sie an zu Blasen, nicht schlecht, aber viel zu kurz. Mit viel wohlwollen waren das nicht mehr als 2 Minuten! FO fürn Arsch. Naja gut, aber ich habe ja auch nichts gesagt. 
Dann den kleinen gummiert und gefickt. Erst sie reitend, dann in der Missio. Ohne Beanstandungen meinerseits. 

Dann hatte ich aber Bock auf ihren süßen Arsch und führte den ersten Finger ein. Sie: „Willst du Arschficken?“ Aber immer doch. Also Gleitmittel auf Arschloch und Pimmel und langsam in sie eingedrungen. Sie japste und wimmerte zwar, doch hielt trotz immer heftiger werdender Stöße gut dagegen. Ihr jammern und Gestöhne wurde lauter, aber für das mangelhafte Blasen machte ich einfach weiter bis ich fertig war. 

Fertig war sie dann auch… Sichtlich mitgenommen wusch Sie sich danach am Waschbecken und bot mir noch eine Massage an…“ [1]

In der Pressemitteilung des BSD zur Vorstellung des Gütesiegels vom 24.08.2017 wurde das Freudenhaus Hase zitiert: „Freudenhaus Hase: „Vermehrt fragen Kunden, ob die Sexarbeiter*innen selbständig und selbstbewusst arbeiten. Selbstverständlich! Das Gütesiegel gibt jetzt die Bestätigung.“

Solche Systeme aufrecht zu erhalten, die sexuelle Gewalt verschleiern und damit erlauben, kann nicht im Interesse einer Partei sein, die dem Grundgesetz verpflichtet ist und in ihrer Satzung ein Frauenstatut verankert hat.

Es hat uns sehr gefreut, dass die Grünen Politikerin Renate Künast erfolgreich gegen Hasskommentare gegen sie im Netz geklagt hat[2]. In der Prostitution erhalten Frauen jedoch keinen Schutz vor solchen Hass-Postings, ob in Freierforen oder auf Bordellseiten. Ganz im Gegenteil, sie werden dort unzählige Male auf übelste Art beschämt und degradiert. Diese Frauen können sich im Gegensatz zu Frau Künast keinen Anwalt leisten, um dagegen vorzugehen. Nein, sie haben Angst vor diesen Männern, die oft gar keinen Hehl daraus machen sie anschließend negativ zu bewerten, wenn die „Dienstleistung“ nicht gut für sie war, mit dem Wissen, dass die Frauen dann von den Bordellbetreibern und Zuhältern mit Druck und Gewalt zu rechnen haben. Diese Frauen haben keinen Schutz. Sie müssen sich größtenteils den Tätern sexuell ausliefern und sich ihrer Macht unterwerfen, in der Hoffnung im Netz nicht öffentlich gedemütigt zu werden. 

Bis in die 90er Jahre warben gewisse Gruppen der Grünen dafür, Pädophilie als selbstbestimmte Liebe zu betrachten. Die Abgründe sind tief angesichts dieses Versagens: der Bericht einer Untersuchungskommission spricht von „bis zu 1000 Opfern“[3]. „Wir schämen uns dafür“, sagte Berliner Grünen Chefin Bettina Jarasch. „Das Wegschauen sehen wir als institutionelles Versagen“, fügt sie fort. „Wir bitten im Namen der Berliner Grünen um Entschuldigung“.[4]

Gerade vor dem Hintergrund dieser Geschichte der Grünen im Hinblick auf das Thema sexuelle Gewalt gegenüber Schutzbedürftigen erscheint es unglaublich, dass sie sich immer noch nicht positionieren für ein Modell wie das Nordische, das sexuelle Gewalt benennt und beenden möchte.

Das von den Grünen eingeführte PostG im Jahr 2002 hat Deutschland zum Bordell Europas werden lassen. Täglich werden tausende von Frauen sexuell ausgebeutet, missbraucht, gedemütigt, krank gemacht und traumatisiert. Wir benötigen keine weiteren Studien und keinen unabhängigen Beauftragten für sexuellen Missbrauch, um die negativen Auswirkungen dieses Gesetzes zu beweisen: es gibt bereits genug Belege über die Gewalt und damit die menschenunwürdigen Verhältnisse in der Prostitution. Die Grüne Partei scheint sich offensichtlich nicht besonders daran zu stören, da sie scheinbar weiterhin an ihrer Linie der selbstbestimmten Sexarbeiterin und Prostitution als „Beruf“ festhält.

Irgendwann wird die Zeit kommen, wo Grüne Politiker sich auch hinsichtlich des Prostitutionsthemas öffentlich dafür entschuldigen werden, um Verzeihung bitten werden, das Wegschauen als institutionelles Versagen der Partei bezeichnen und sich dafür schämen werden.

Es ist Zeit, dass Sie mit dieser Politik aufhören, die vulnerabelsten Frauen sexuell ausbeuten zu lassen. Es ist Zeit, dass Sie sich positionieren und einen Richtungswechsel einschlagen. Mit einer Pro-Prostitutions-Politik katapultieren Sie Ihre gesamte Frauenpolitik ins Mittelalter und machen Ihre Partei zu einer erfolgreichen Lobby-Gruppe der Freier, Zuhälter und Bordellbetreiber.

In Ihrem Brief sagen Sie, dass ein allgemeines Verbot des Sexkaufs und eine Kriminalisierung der Freier die kommunalen Kompetenzen vom Gemeinderat und vom Oberbürgermeister übersteigen würden. Es geht hier nicht um die Einführung eines „allgemeinen Sexkaufverbots“, sondern um weitere Regelungen des sogenannten Nordischen Modells während der Corona-Krise.

Eine Aufhebung des Sexkaufverbots mit einer Wiedereröffnung der Bordelle wäre zum jetzigen Zeitpunkt wegen des Infektionsgeschehens gefährlich für die Frauen und die Gesellschaft. Dies bestätigt auch der Bundestagsabgeordnete und Virologe Karl Lauterbach:

„Was sollte man denn dann überhaupt noch einschränken, wenn man Prostitution wieder erlaubt?“[5]

Das Hygiene Konzept des BesD[6], das mittlerweile wahrscheinlich bei allen Ministerien auf dem Tisch gelandet ist, liest sich eher wie eine Farce und löst Schmunzeln aus. Es kann jedoch von keinem seriösen Menschen abgesegnet werden: es soll 1,5 Meter Abstand beim Plaudern gehalten werden, die Hände soll man sich nicht geben, Analverkehr und Geschlechtsverkehr sollen aber stattfinden dürfen. Diese Hygiene Konzepte sind in der Realität weder umsetzbar noch kontrollierbar. Karl Lauterbach sagt dazu:Ich halte es nicht für darstellbar, dass in der Praxis des Bordellbetriebs Hygieneregeln eingehalten werden können, die in irgendeiner Weise die Sicherheit der Kunden und der Prostituierten gewährleisten. Ein Physiotherapeut arbeitet in einem kontrollierten Umfeld mit nicht anonymen Patienten. Hier wäre eine Infektionskette sehr schnell nachvollziehbar… Ich sehe in der Praxis der Prostitution diese Möglichkeit nicht.[7]

Selbst prostituierte Frauen in Karlsruhe betrachten es unrealistisch sexuelle Dienstleistungen wieder zu erlauben. So eine „Sexarbeitende“ in der BNN[8]am 28. Mai: „Ich kenne bisher kein Konzept, das funktionieren würde. Kein Freier hinterlässt freiwillig seine Kontaktdaten.“ Daher sei die Nachverfolgung von Infektionsketten schlicht nicht möglich. Auch eingeschränkte Angebote, etwa erotische Massagen, seien keine Lösung. „Ein Puffgänger erwartet trotzdem das volle Programm. Es guckt ja keiner.“

Aufgrund der momentanen Corona-Situation haben Sie weiterhin zum Schutz von Menschen die Kompetenzen für Maßnahmen in diesem Bereich. In Berlin hat der Senat am 30. Mai eine Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution beschlossen und nur die Freier mit einem Bußgeld belegt. Ein Corona Ausbruch in Göttingen hat am 07.06.2020 dazu geführt, dass die Stadt alle Schulen wieder geschlossen hat. Es bestehen Kompetenzen auf kommunaler Ebene.

Unabhängig davon haben Sie selbst dann, wenn es keine Corona Verordnung mehr gibt, die Kompetenz, das Nordische Modell auf kommunaler Ebene zumindest in Teilen einzuführen. Dies beispielsweise, indem in Sperrbezirken die Bußgeldstrafe die Freier und nicht die Frauen trifft. Allein dieser Punkt sollte in unser aller Interesse sein?!

Corona fordert uns alle auf über gewohnte Systeme nachzudenken. Es wäre schade, wenn die Politik nach dieser Krise nichts daraus lernt und zu seinem System zurückkehrt, das die Probleme verursacht hat. 

Karlsruhe kann viel! Karlsruhe könnte als zweite Stadt Deutschlands (nach Berlin) noch mehr Solidarität mit den Frauen zeigen, indem es weitere Regelungen des Nordischen Modells auf kommunaler Ebene einführt! Jetzt zu Corona-Zeiten sowie danach (s.o. das Beispiel mit dem Sperrbezirk):

  1. Beibehaltung der Schließung aller Bordelle/Prostitutionsstätten sowie Strafen für die Bordellbetreiber bei Verstoß.
  2. Das am 19.03.2020 eingeführte Sexkaufverbot soll beibehalten werden.
  3. Eine Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution soll einführt werden. 
  4. Effektive Ausstiegshilfen aus der Prostitution anbieten.
  5. Zuhälterei und Ausbeutungsverhältnisse jeglicher Form müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufgespürt, unterbunden und verfolgt werden; dazu braucht es mehr Ressourcen und mehr spezialisiertes Personal.
  6. Schulung von Polizei, Justiz und Behörden über das System Prostitution.
  7. Präventionsarbeit in Schulen und Gesellschaft, Gewaltschutz und Förderung der Gleichstellung der Geschlechter.

Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Sandra Norak                                                                  

Dr. Ingeborg Kraus

Ulrike Maier


[1]https://huren-test-forum.lusthaus.cc/showthread.php?t=161949

[2]https://www.fr.de/politik/kuenast-urteil-keine-ermittlungen-gegen-richter-anzeige-gegen-anwaeltin-13052895.html

[3]https://gruene.berlin/sites/gruene-berlin.de/files/benutzer/henriette.kluge/bericht_komm_aufarbeitung_gruene_berlin_.pdf

[4]https://www.tagesspiegel.de/berlin/paedophiliebericht-des-berliner-landesverbandes-gruenen-vorsitzende-bettina-jarasch-entschuldigt-sich-fuer-institutionelles-versagen/11798992.html

[5]https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.spd-gesundheitspolitiker-zum-bordell-hygienekonzept-freier-und-prostituierte-koennen-sich-infizieren.2934dbd7-9160-4a6e-a868-271f24d613ed.html

[6]https://berufsverband-sexarbeit.de/wp-content/uploads/2020/05/200519_BesD-Hygienekonzept-1.pdf

[7]https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.spd-gesundheitspolitiker-zum-bordell-hygienekonzept-freier-und-prostituierte-koennen-sich-infizieren.2934dbd7-9160-4a6e-a868-271f24d613ed.html

[8]https://bnn.de/lokales/karlsruhe/karlsruher-bordellbetreiberin-fordert-schrittweise-lockerung-fuer-die-prostitution