Pressemitteilung zum weiteren Vorgehen bezüglich Prostitution in Karlsruhe

Pressemitteilung zum weiteren Vorgehen bezüglich Prostitution in Karlsruhe

Karlsruhe, den 16.04.2020

Angegliedert an den Brief an die Regierung[1]von Sandra Norak und Dr. Ingeborg Kraus, mit „Leitlinienzum einheitlichen Vorgehen bezüglich Prostitution angesichts der Corona-Epidemie in Deutschland“, fordert KA-gegen-Sexkauf die Stadt Karlsruhe auf, als erste Stadt Deutschlands, weitere Regelungen des sogenannten „Nordischen Prostitutions-Modells“ nach dem 19. April 2020 einzuführen: 

  1. Wir begrüßen es sehr, dass Karlsruhe vorbildlich als erste und (leider) einzige Stadt in Deutschland ein Sexkaufverbot („Freierbestrafung“) am 19.03.2020 eingeführt hat. Dieses Sexkaufverbotsoll beibehalten sowie daneben die Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution einführt werden.
  • Warum ein Sexkaufverbot? 

Die Nachfrage schafft Prostitution, die Nachfrage schafft den Nährboden für Menschenhandel und Ausbeutung. In der Richtlinie 2011/36/EU (Menschenhandelsrichtlinie) wird in Art. 18 Abs. 1 die Bedeutung der Eindämmung der Nachfrage klargemacht:

„Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen wie Ausbildung und Schulung, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel begünstigt, entgegenzuwirken und diese zu schwächen.“[2]


Das Europäische Parlament,

„ist der Ansicht, dass die Senkung der Nachfrage Teil einer integrierten Strategie der Mitgliedstaaten gegen Menschenhandel bilden sollte[3]

Der Europarat:

“12. In the light of these considerations, the Assembly calls on Council of Europe member and observer States, Parliamentary Assembly observer States and partners for democracy, to: 

12.1. as regards policies on prostitution: 

12.1.1. consider criminalising the purchase of sexual services, based on the Swedish model, as the most effective tool for preventing and combating trafficking in human beings

12.1.6. if they have legalised prostitution: 

12.1.6.7. raise general public awareness of the need to change attitudes towards the purchase of sexual services and to reduce the demand”[4]

Mit einem Sexkaufverbot soll der Fokus auf diejenigen gerichtet werden, die dieses Leid überhaupt verursachen und die eine Wahl haben. Wir sind momentan Zeugen, dass Milliarden von Menschen bereit sind ihr Verhalten zum Wohl der Menschheit zu verändern. Sexkäufer verursachen immenses Leid und jetzt ist die Zeit gekommen, dass sie in die Verantwortung genommen werden müssen. Oft braucht es nicht Jahre, um die Frauen in der Prostitution zu brechen, sondern es genügt der erste Sexkäufer:

Bei mir war die Überwindungsgrenze mich mit dem ersten Freier einzulassen sehr hoch. Gefühle wie Ekel, Abscheu, Scham, Trauer und Angst machten es mir nahezu unmöglich, diesen Akt durchzuführen. Ich war kurz davor zu schreien, zu weinen. Als der Akt vorbei war, war etwas in mir kaputt gegangen. Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht mehr. Ich wollte weinen, aber ich konnte es nicht mehr. Was ich fühlte, war betäubt und abgetötet. Die Fähigkeit sich zu wehren und Widerstand zu leisten geht bei jedem Freier mehr verloren, weil durch diesen Akt der ungewollten Penetration nicht nur die Dissoziation den Körper beherrscht, sondern auch die Persönlichkeit immer weiter gebrochen wird. Dieser Akt der Penetration bedeutet eine permanente Demütigung und Degradierung zu einem Objekt sexueller Benutzung. Die Menschenwürde wird entzogen. Man hört auf, sich als fühlender Mensch wahrzunehmen.[5]

Es ist sehr bedauernswert, dass das Diakonische Werk Baden, angesichts solcher tiefgreifenden Menschenrechtsverletzungen, immer noch von Sexarbeit spricht und damit scheinbar Prostitution als Arbeitsoption betrachtet.

  • Warum eine Entkriminalisierung der Menschen in der Prostitution?

Frauen, die (jetzt noch) der Prostitution nachgehen, tun dies aufgrund ihrer prekären Lage und verschiedenen Zwängen sowie Suchterkrankungen und/oder (Vor-)Traumatisierungen. Sie tun es, weil sie in diesem Moment keine adäquate Hilfe bekommen, die ihnen andere Optionen aufzeigt und sie dabei unterstützt. Sie sind durch ihre vulnerable Situation zu geschwächt und schaffen es oft nicht allein aus ihrer Not herauszufinden. Eine Bestrafung der Menschen in der Prostitution trifft die Falschen. Es muss ein Systemwechsel stattfinden, wo nicht diejenigen in die Verantwortung genommen werden, die an der Prostitution zugrunde gehen, sondern diejenigen, die das Leid verursachen. Für diejenigen, die noch in der Prostitution sind, braucht es nun Ausstiegshilfen und keine Strafen.

Die Entkriminalisierung soll kein Freibrief für die Frauen sein der Prostitution nachzugehen oder in ihr zu bleiben und sich dadurch in Gefahr zu bringen. Sie soll aber einen notwendigen und unbedingt erforderlichen Schutz für die betroffenen Menschen in der Prostitution darstellen, der ihnen aufgrund ihrer prekären Lage, um die jeder weiß, gewährleistet werden muss.

2. Beibehaltung der Schließung aller Bordelle/Prostitutionsstätten sowie Strafen für die Bordellbetreiber bei Verstoß

3. Zuhälterei und Ausbeutungsverhältnisse jeglicher Form müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufgespürt, unterbunden und verfolgt werden; dazu braucht es mehr Ressourcen und mehr spezialisiertes Personal

4. Effektive Ausstiegshilfen aus der Prostitution anbieten 

Die Hilfe zum Ausstieg aus der Prostitution beinhaltet verschiedene Faktoren: Sichere Schutzräume/Unterkünfte, kostenlose Nahrung und Kleidung, weitere finanzielle Hilfen wie z.B. benötigte Ticketkäufe, Hilfe bei Behördengängen und Schuldnerberatung, Eingliederung in ein Sozialsystem, kostenloser Zugang zu medizinischer Hilfe und Trauma-Behandlung, Sprachkurse, falls nötig, und Teilhabe an einem Sozial- und Arbeitsleben sowie ein Bleiberecht. Ernsthafte Hilfe bedeutet Alternativen zur Prostitution zu erarbeiten, anstatt diesen Teufelskreis für die Betroffenen als Einkommensmöglichkeit zu vermitteln. 

Es ist daher ebenso bedauerlich, dass auch Beratungsstellen für Prostituierte hier in Karlsruhe sich öffentlich gegen das Nordische Modell aussprechen und Prostitution als Einkommen schaffende Option für Frauen betrachten[6]

Generell ist es so, dass die Beratungsstellen, die jahrelang mit staatlichen Geldern gefördert worden sind und sehr oft auch die Ausübung der Prostitution unterstützt haben, diesen Frauen scheinbar jetzt nicht effektiv helfen können, sonst würde man nicht laufend gerade in Medienberichten von Beratungsstellen lesen, dass die Frauen nun obdachlos würden. Bestände in Deutschland ein richtig und gut auf- und ausgebautes Hilfesystem, das Prostitution nicht als Arbeit betrachtet und dieses als solches gefördert hätte, sondern Prostitution als Ausbeutungs- und Gewaltsystem gesehen und behandelt hätte, dann wäre es nicht zu dieser prekären Lage für manche Frauen in der Prostitution gekommen. Es wären genügend Ressourcen und genügend „Know-How“ vorhanden, um allen Betroffenen zu helfen. 

Stattdessen appelliert heute die Beratungsstelle Luis.e an Bordellbetreiber und Vermieter von Terminwohnungen, Frauen dort wohnen zu lassen, auch wenn sie nicht arbeiten können. Sogar die Leiterin der evangelischen Frauen in Baden Anke Ruth-Klumbies appelliert an Bordellbetriebe die Prostituierten dort wohnen zu lassen.[7]

Es ist keine wahre Hilfe, prostituierte Frauen während Corona in den Bordellen unterbringen zu wollen, wie es von diesen Personen vorgeschlagen wird.[8]

Dieser vermeintliche Lösungsansatz ist viel zu kurz gedacht. Es wird weitere schwerwiegende Abhängigkeiten für die Betroffenen bringen. Abhängigkeiten, die Behörden nicht werden sehen geschweige denn verhindern können. 

Im Milieu gilt das „Loyalitätsgesetz“. Viele Frauen werden den Betreibern und damit einhergehenden „dritten Personen“ lange Zeit etwas „schuldig“ sein (natürlich werden diese das abstreiten und sich in den Medien weiter als die großen Retter aufspielen). Wie die Frauen ihre Schuld im Nachgang begleichen werden, dies kann sich jeder ausmalen. Nach außen hin wird das nicht sichtbar sein. Es wird zu einem milieuinternen „Deal“ zwischen den Mächtigen und den Ohnmächtigen werden.

Dass es im Milieu eigene Regeln gibt bestätigt auch Manfred Paulus, Erster Kriminalhauptkommissar a.D:

„Und sie alle sind den ungeschriebenen Gesetzen des Milieus verpflichtet.
Diese Milieugesetze sind von größter Bedeutung. In der Parallelgesellschaft Rotlichtmilieu finden die Spielregeln und Normen der Allgemeinheit und ihre Gerichtsbarkeit keine Anerkennung. Das Milieu hat eigene Wertvorstellungen, eigene Spielregeln, eigene Gesetze. Es hat eigene Ermittler, eigene Richter und wenn erforderlich auch eigene Henker.
Der Verrat ist nach diesen Milieugesetzen die schlimmste und am härtesten zu ahndende Verfehlung. Und Verrat ist alles, was dem Milieu und seinen Mächtigen Schaden zufügen könnte oder schadet.“
[9]

Unser Staat fährt gerade Rettungsschirme mit Milliardenbeträgen aus. Wie kann es sein, dass unser Staat nicht in der Lage sein will, den in Deutschland verbliebenden Menschen aus der Prostitution eine Soforthilfe zukommen zu lassen in Form einer Zurverfügungstellung von Wohnraum, leerstehenden Ho(s)telzimmern, Verpflegung/Betreuung und Hilfen zum Ausstieg? Viele dieser Frauen haben trotz Ausbeutungssituation Steuern bezahlt. 

Wir fordern einen Rettungsschirm für die prostituierten Menschen und wir sind uns sicher, dass auch Karlsruhe dies ohne große Probleme und Hürden gewährleisten kann und bitten daher um entsprechende Maßnahmen, damit die Frauen die Möglichkeit bekommen, sich aus Abhängigkeits – und Ausbeutungsverhältnissen lösen zu können. Diese Möglichkeit haben sie nicht, wenn sie von der „Gnade“ von Bordellbetreibern abhängig sind.

5. Schulung von Polizei, Justiz und Behörden über das System Prostitution

Viele Opfer in Deutschland trauen sich nicht zur Polizei zu gehen, weil sie kein Vertrauen haben und/oder erfahren haben, dass eine Anzeige gegen einen Zuhälter/Menschenhändler oft erfolglos ist und Ermittlungen überwiegend eingestellt werden und/oder ihnen nicht geglaubt wird. Deshalb und auch, um die Ausbeutungs- und Gewaltmechanismen in der Prostitution zu verstehen und so erst den Betroffenen wirklich helfen zu können, ist die Schulung von Polizei, Justiz und anderen Behörden über das System Prostitution unumgänglich. Wir benötigen langfristig auch praktikablere Gesetze, um eine effektive Strafverfolgung auf diesem Gebiet gewährleisten zu können, auf die bereits jetzt hingearbeitet werden muss.

6. Präventionsarbeit in Schulen und Gesellschaft, Gewaltschutz und Förderung der Gleichstellung der Geschlechter

Zusätzlich ist Aufklärungs- und Präventionsarbeit über Prostitution, Menschenhandel und die damit auch in Verbindung stehende Frage der Gleichstellung der Geschlechter wichtig. Dies umfasst auch den kritischen Umgang mit Pornografie, die gefilmte Prostitution ist, und ebenfalls in den Blick genommen werden muss. Bereits Kinder und Jugendliche können unkontrolliert darauf zugreifen. Dazu sagt Medienaufseher Tobias Schmid: „Der Jugendschutz macht keinen Sinn, wenn jedes Kind vom Kikaninchen zu Pornhub wechseln kann.“[10]Gerade jetzt, wo soviel online passiert, muss auch auf die Pornoindustrie und deren Portale reagiert und Zugangsbeschränkungen geschaffen werden. Pornografie begünstigt und fördert oft den Einstieg in die Prostitution und macht Männer zu Sexkäufern, denn sie vermittelt: „Sex sei eine „völlig von einer emotionalen Beziehung abgekoppelte Technik, eine mechanische Handlung, die man einfach nachmachen kann.“[11]

Auch für die Zeit nach der Pandemie sollte die Politik endlich einen Richtungswechsel überlegen, der die Gewalt, die tiefen Menschenrechts- und Menschenwürdeverletzungen sowie die Frage der Gleichstellung der Geschlechter bei der Prostitutionsfrage – und Gesetzgebung miteinbezieht, und dabei über die vollständige und dauerhafte Implementierung des Nordischen Modells ernsthaft nachdenken. 

Corona fordert uns alle auf über gewohnte Systeme nachzudenken. Es wäre schade, wenn die Politik nach dieser Krise nichts daraus lernt und zu seinem System zurückkehrt, das die Probleme verursacht hat.

Karlsruhe kann viel! Karlsruhe könnte als erste Stadt Deutschlands noch mehr Solidarität mit den Frauen zeigen, indem es weitere Regelungen des Nordischen Modells auf kommunaler Ebene einführt!

Mit freundlichen Grüßen

Sandra Norak und Dr. Ingeborg Kraus


[1]https://www.trauma-and-prostitution.eu/wp-content/uploads/2020/04/ForderungnachLeitlinienzumeinheitlichenVorgehenbezüglichProstitutionangesichtsderCorona-Epidemie.pdf

[2]Richtlinie 2011/36/EU: 

https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32011L0036.

[3]Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Februar 2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter (2013/2103(INI)), Punkt 28:

https://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0162+0+DOC+XML+V0//DE.

[4]Europarat: Prostitution, trafficking and modern slavery in Europe, Resolution 1983 (2014), Final version:

http://semantic-pace.net/tools/pdf.aspx?doc=aHR0cDovL2Fzc2VtYmx5LmNvZS5pbnQvbncveG1sL1hSZWYvWDJILURXLWV4dHIuYXNwP2ZpbGVpZD0yMDcxNiZsYW5nPUVO&xsl=aHR0cDovL3NlbWFudGljcGFjZS5uZXQvWHNsdC9QZGYvWFJlZi1XRC1BVC1YTUwyUERGLnhzbA==&xsltparams=ZmlsZWlkPTIwNzE2

[5]„Nie wieder Prostitution!“,18.09.2018:

https://www.trauma-and-prostitution.eu/2018/12/28/nie-wieder-prostitution/.

[6]https://bnn.de/lokales/karlsruhe/prostituierte-in-karlsruhe-die-interessiert-feminismus-nicht-die-kaempfen-um-ihre-existenz

[7]https://www.karlsruhe-insider.de/news/coronavirus-pandemie-in-karlsruhe-besondere-notlage-fuer-prostituierte-46843/

[8]https://bnn.de/lokales/landkreis-karlsruhe/stadt-karlsruhe-schliesst-bordelle-und-strassenstrich-wegen-coronavirus

[9]Manfred Paulus: „Rotlicht- und Organisierte Kriminalität“.  In: Die Kriminalpolizei, Ausgabe Juni 2011. https://www.kriminalpolizei.de/ausgaben/2011/juni/detailansicht-juni/artikel/rotlicht-und-organisierte-kriminalitaet.html?fbclid=IwAR2TC6bNaOVTCOY_f1v8y_V1f7yPZvQuOFD6UCyzqcBsqOkO3wWESepg4Hc.

[10]„Schwer jugendgefährdend – Offensive gegen Porno-Portale“, 07.04.2020:

https://www.ka-news.de/nachrichten/schlagzeilen/brennpunkte/schwer-jugendgefaehrdend-offensive-gegen-porno-portale;art288,2517275.

[11]„Pornografie in Kinderhänden“, 16.02.2019:

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/pornografie-in-kinderhaenden-kinderschutz-durch-handyverbot/23993802.html.